Ein Bild von  Saul Leiter, Untitled, 1950s.

Parfum Noir: Zwischen Verführung, Verrat und den Verdächtigen im Flakon

Autor: Melina

|

Datum

|

Lesezeit 6 min

Moleküle mit Maske – wenn dein Geruchssinn ermittelt

Ach, die Notenbeschreibung: ein beliebter Wegweiser, an dem wir uns auf der Suche nach einem neuen Parfum nur allzu gerne orientieren. Dafür gedacht, uns eine grobe Vorstellung vom Duftprofil zu vermitteln, beschwören Bezeichnungen wie ,,Meeresbrise” oder ,,geschnittenes Gras” allein beim Lesen ganze Szenen vor unserem inneren Auge herauf. Aber ohne den Duft je gerochen zu haben, ähneln viele dieser Beschreibungen einem Gedicht, dessen olfaktorischer Sinn sich nur dem Dichter erschließt. So kann es schon mal vorkommen, dass du dich in einen Duft verliebst, den du anhand von Noten allein nie in Erwägung gezogen hättest.


Umso befremdlicher ist es, wenn ein Parfum alles zu sein verspricht, wonach du dich sehnst: fruchtig, frisch, sommerlich – Und dann beim ersten Schnuppern stellst du fest: ,,Hier stinkt etwas gewaltig!”


Mit einer kleinen Abweichung von deinem Traumduft hattest du zwar gerechnet, doch du weißt mit Gewissheit: von Schweißgeruch war nirgends die Rede. Du glaubst, du musst dich verlesen haben. Oder wurdest du etwa durch cleveres Marketing an der Nase herumgeführt? Vielleicht stimmt ja etwas mit dir nicht. Ist das der Moment, in dem du herausfindest, dass du Long COVID hast?


Dabei besteht überhaupt kein Anlass zur Besorgnis! Weder dein Geruchssinn noch der Parfumeur spielen dir einen Streich, ganz im Gegenteil. Willst du den Spuren des Rätsels auf den Grund gehen, musst du kleiner denken. Noch kleiner. So klein wie es geht… auf molekularer Ebene.

alt=""

So manches Molekül führt nämlich ein Doppelleben, besitzt potenziell sogar mehrere geheime Identitäten. Aber vor deiner Nase — olfaktorische*r Ermittler*in vom Fach — bleibt nichts verborgen. Im Gegensatz zu deinen anderen Sinnen hat sie eine Sonderfreigabe zu deinen Erinnerungen und darf jenseits des Bewusstseins agieren, weshalb du — leider — von ihren Nachforschungen ausgeschlossen bleibst. Zum Glück gibt es eine Liste bekannter Übeltäter. Und hast du dich einmal mit ihr vertraut gemacht, führt auch dich so schnell keine Notenbeschreibung mehr in die Irre.

Sommerduft mit Nebeneffekt – die dunkle Seite der Zitrusnote

Nehmen wir als Erstes den Fall des fruchtigen Sommerduftes unter die Lupe:


Besonders beliebt an heißen Tagen erleben Zitrusdüfte zur Sommerzeit ihr jährliches Comeback. Sobald die eigene Transpiration ebenso wie die der anderen zum Störfaktor wird, greift man gerne zum Flakon und hofft auf Erfrischung. Allerdings können diese Düfte auch in seltenen Fällen zu einer intensiveren Wahrnehmung unwillkommener Körpergerüche beitragen. Verantwortlich dafür sind schwefelhaltige Verbindungen – sogenannte Thiole –, die zum charakteristischen Aroma der Früchte beitragen und in Parfums verwendet werden, um realitätsnahe Zitrus- und Fruchtnoten herzustellen. Ähnliche Thiole finden sich auch in unserem Schweiß, somit die subtile Gemeinsamkeit im Geruch. Doch allein deshalb verlieren sie noch lange nicht ihre Attraktivität. Eine gewisse animalische oder verruchte Qualität kann nämlich, wenn richtig eingesetzt, geradezu magnetisch wirken. Letztendlich macht die Dosis das Gift: In hoher Konzentration können Thiole stark nach faulen Eiern riechen, weshalb sie geruchslosem Erdgas zugesetzt werden, um uns im Falle eines Lecks zu warnen. Aber gekonnt gemischt und in niedrigen Mengen, zeigen sich unsere schwefligen Freunde in den meisten Düften nur von ihrer besten Seite. Selbst Winzer wissen ihren Wert zu schätzen, denn erst sie verleihen dem Sauvignon Blanc sein unverkennbares Aroma.


Kommen wir aber auf das zurück, was du eigentlich wissen willst — hinter welchen Duftnoten sich miefige Thiole verstecken könnten. Ganz oben auf unserer Most-Wanted-List steht sowohl in der Obstschale, als auch in der Parfumerie die Grapefruit, dicht gefolgt von Guave und Passionsfrucht. Während uns diese drei Komplizen gerne mal einen schwitzigen Streich spielen, fordert uns eine vierte Frucht mit einem Thiol von anderem Kaliber heraus.

Tierisch gut? Das Katzen-Keton der Cassis

Die Schwarze Johannisbeere birgt nämlich ein dunkles Geheimnis: Sie teilt sich eine Schwefelverbindung mit… Man will es gar nicht aussprechen…Katzenpipi! Und leider riecht das sogenannte Katzen-Keton auch genau danach. Gerade bei der Gewinnung von Johannisbeerknospen-Absolue kommt dieses unvorteilhafte Aroma zur Geltung, erst hoch verdünnt offenbart sich die saftige Cassis-Note: warm, scharf und fruchtig. Komplett verschwindet der Urin aber nie, eher trägt er zu der Vielschichtigkeit der Beere bei, indem es ihr einen frechen, animalischen Aspekt verleiht. Wer sich mit diesem Duftprofil nicht anfreunden kann, muss zum Glück keine Parfums mit schwarzer Johannisbeere meiden. Sie verfliegt als sehr leichte Kopfnote innerhalb weniger Minuten und hinterlässt keine Spur von Gestank — Hand aufs Herz!

Schwarze Johannisbeeren an einem Strauch

Molekül Indol: Wenn Schönheit stinkt

Solltest du dich nun in Sicherheit wägen und meinen, schlimmer als Pipi könne es nicht kommen, müssen wir dich bedauerlicherweise enttäuschen. Schlimmer geht immer: im folgenden Fall wird es nämlich fäkal. Die notorischsten unter den Stinkschurken, man könnte sie auch als die „Jekyll und Hydes“ der Düfte nennen, sind wohl die Indole. Auf der einen Seite verleihen sie verwesender Materie (hierzu gehört auch Kot) einen charakteristischen Geruch, auf der anderen Seite nutzen Pflanzen ihre Anziehungskraft, um Bestäuber anzulocken und so ihre eigene Fortpflanzung zu sichern. Wir befassen uns also mit den Botschaftern von Leben und Tod. In reiner Form riecht Indol eher muffig-feucht und wird häufig mit Mottenkugeln verglichen.

Ein Schatten einer Blume

Nun hast du dich ja schon mit dem Modus Operandi unserer Duftmoleküle vertraut gemacht und kannst dir denken was eine niedrigere Konzentration bedeutet — kleiner ist feiner. Denn in niedrigen Mengen verströmt Indol eine blumige, sinnliche Süße, zu der sich ein animalischer Hauch gesellt, und somit eine pheromonähnliche Qualität erlangt. Ebenfalls spannend ist die Beziehung zwischen Indol und Serotonin, dem glücksförderndem Neurotransmitter, der auch in Schokolade vorkommt. Denn in der Struktur des Serotonins verbirgt sich ein Indolring, was womöglich erklärt, weshalb ein Spaziergang durch einen blühenden Garten so erheiternd sein kann. Weiße Blüten enthalten unter den Blumen die wohl höchste Menge Indol: Jasmin, Tuberose, Orangenblüte und Gardenie sind als Symbole von Luxus, Lust und Lebendigkeit zu regelrechten Duft-Ikonen geworden und erfreuen sich seit Jahrhunderten an einer treuen Anhängerschaft unter Parfumliebhaber*innen. Aber sei gewarnt: Es gibt auch Jene,, die beim Vernehmen dieser Noten mit Kopfschmerzen bestraft werden. Deshalb sind blumige Parfums mit Vorsicht zu genießen.

Geosmin: Zwischen Waldboden, Roter Bete und Fischverderb

alt=""

Zu guter Letzt wollen wir dem Entfesselungskünstler auf unserer Liste die Anerkennung schenken, die ihm gebührt — dem Geosmin. Der Name selbst enthüllt, um welchen Duft es sich handelt: ,,Geo’’ steht für Erde, ,,Osme’’ für Geruch. Dieses Molekül ist eine wahre Rampensau der Düfte, denn wo auch immer man hin geht, tritt es auf:


Geosmin wird von einer einzigen Bakteriengattung hergestellt, den Streptomyces. Sie lebt hauptsächlich im Boden, womit wir auch den Geruch von Geosmin am häufigsten assoziieren — Waldboden, Erde und Dreck. Tiere und Menschen reagieren ungemein empfindlich auf dieses Molekül, weshalb wir es schon in den winzigsten Mengen wahrnehmen können. Wenn du keine Rote Beete, Pilze oder Karotten magst, kennst du nun die Ursache. Aber auch in vielen Gewässern leben diese Mikroben, und wir können uns einig sein, dass sowohl Wasser als auch Fisch mit Geosmin gewürzt wenig genießbar ist.

Warum Regen nie ganz echt duftet

In vielen von uns erweckt diese Notenbeschreibung eine tiefe Sehnsucht, die Atmosphäre regnerischer Tage einzufangen. Und obwohl das Geheimnis hinter diesem Trick gelüftet wurde, ist es bislang keinem der Parfumer*innen gelungen, ihn erfolgreich durchzuführen. Zwar mag es sein, dass dir in den letzten Jahren immer wieder Nischendüfte mit einer angeblichen Regennote zwischen die Finger gekommen sind, doch was sie versprechen entspricht nicht vollständig der Wahrheit. Denn wie bereits erwähnt, ist unsere Nase extrem sensibel gegenüber diesem Duft-Houdini. Würde die Konzentration des Geosmins im Parfum den Mengen entsprechen, die bei Regenwetter freigesetzt werden, dann würde es sich umgehend verflüchtigen. Darum enthalten Regen-Düfte meist größere Mengen des Moleküls, wirken jedoch aus diesem Grund wieder erdig. Trägst du also das Parfum, sind es bloß die Anderen, die auf größere Entfernung einen Anflug von Regen vernehmen. An dir selbst musst du dich fürs Erste mit Waldboden zufriedengeben. Wir würden ja mit einem Zwinkern behaupten, beim Verschenken hättest du dann am meisten davon. Du musst aber auch nicht gleich alle Hoffnungen begraben: Die Parfumerie entwickelt sich stetig weiter und ständig werden neue Duftstoffe und Zusammensetzungen gefunden. Das Streben nach dem perfekten Regenduft geht weiter und in der Zwischenzeit kannst du dich an der richtigen Sache erfreuen.

So, du kannst aufatmen! Jetzt solltest du mit allen Pseudonymen unserer Übeltäter vertraut sein — zumindest mit den uns bekannten. Hoffentlich bist du mit deinem neu gefundenen Wissen für die nächste Duft-Untersuchung gut gewappnet. Sei aber nicht zu eilig mit deinem Urteil und bitte rümpf nicht gleich die Nase, wenn du diese Noten irgendwo geschrieben siehst. Immerhin stehen die meisten Noten nie alleine, im Zusammenspiel mit anderen sind sie deutlich ungefährlicher als sie auf den ersten Blick wirken. In diesem Sinne überlassen wir dich deinen eigenen Ermittlungen, wer weiß, wohin sie dich führen werden?

alt=""

Verwandte Blogartikel